24. Oktober 2023

Von der Wohltat, nichts Besonderes zu sein

Neulich habe ich die Missi zu einem größeren Turnier begleitet und dort sind zwei bemerkenswerte Dinge geschehen. Lappalien, die für mich aber nachklingen. Positiv, wohlgemerkt.


So ein Turnier ist eine wuselige, oft hektische und laute Angelegenheit. Viele aufgeregte Reiter:innen, viel Crew, viele Kinder, laute (für meinen Geschmack in der Regel auch noch mehr als grenzwertig schreckliche, oft Schlager-)Musik, regelmäßig unterbrochen oder überlagert von Lautsprecherdurchsagen, viel Rennerei, viele Sozialkontakte, viel Gespräch. Sprich: Für jemanden wie mich, die schon nach einem normalen, längeren Freundetreffen am Gartentisch einen Tag Erholung und Ruhe auf den Ohren braucht, jedesmal ein Event außerhalb jeder Komfortzone. Buchstäblich körperlich brutal anstrengend, ich breche danach regelmäßig auf dem Sofa zusammen und tue genau NICHTS mehr - egal, ob ich mittags um vier oder morgens um zehn schon wieder zuhause bin. Google „HSP“, wenn Du Dir nicht vorstellen kannst, dass es sowas gibt oder mich jetzt einfach nur für enorm empfindlich hältst ;)

Jedenfalls saßen wir bei diesem Turnier auf einer Terrasse am Reitplatz, auf dem gerade die dritte Springprüfung des Tages lief. Bei der ersten war die Missi, die eigentlich Dressur reitet und nur gelegentlich zum Spaß mal springt, sensationell Zweite geworden, bei der zweiten ist sie lustig gestürzt bzw. getrennt vom Pony übers Hindernis, es war also schon ordentlich was los bis dahin und ich überhaupt schon den zweiten Tag in Folge seit vier Uhr wach. Jetzt saß ich am Tisch, mit einer grandiosen Pommes und einer kalten Cola, schaute den Starter:innen zu und unterhielt mich im Rahmen meiner Möglichkeiten, um mich herum war nämlich auch viel Gespräch und die Boxen direkt neben uns. Irgendwann lief ein ganz besonders schreckliches HeleneFischerAndreaBergWeißderGeier-Lied, ich sagte „Himmel, die Musik killt mich heute“ und meine Sitznachbarin meinte, sie würde das gar nicht hören, sie könne das komplett ausblenden (Der O-Ton war „Ich arbeite in der Psychatrie, ich kann alles ausblenden!“ :) Worauf ich antwortete, ich könne absolut gar nichts ausblenden, mein Kopf würde einfach alles völlig ungefiltert reinlassen und wäre dann mit der Verarbeitung komplett überfordert. Ich müsse mich nach diesem Tag eigentlich erst mal zwei Tage in eine dunkle Kammer einsperren.

Tatsächlich war diese Szene die erste bemerkenswerte - nämlich, weil ich das einfach gesagt habe, statt damit beschäftigt zu sein, so zu tun, als wäre ich so „normal“ (haha) wie alle anderen. Und die zweite ereignete sich unmittelbar im Anschluss, als nämlich zwei der in dem Moment sechs anderen Personen um mich herum wissend nickten und sagten: „Ja, das geht mir ganz genauso.“ Das war’s, daraus entspann sich auch kein weiteres Gespräch oder so, aber das hat so gut getan. Drei von sieben, das ist kein schlechter Schnitt ;) Und bestätigt, was ich immer sage: Wir sind viele. 15-30% aller Menschen, sagt die Wissenschaft. Kein Grund, sich irgendwie komisch zu fühlen und ständig seine persönlichen Grenzen zu überschreiten, weil man gefühlt irgendwo mithalten muss. Wenn man viele Jahre seines Lebens den Eindruck hatte (und auch gerne mal von Umfeld vermittelt bekam), falsch zu sein, ist das ein sehr schönes Gefühl :)

Und wo ich so übers (gesellschaftlich diktierte) Falsch- oder Richtigsein nachdenke, fällt mir auf, dass es noch ein Thema gibt, was sich zunehmend mehr zurecht ruckelt und mich immer weniger in die Sonderling-Ecke schubst: Ich musste mich tatsächlich schon eine ganze Weile lang nicht mehr dafür rechtfertigen(!), keinen Alkohol zu trinken. Und auch das ist EINFACH. NUR. SCHÖN. Denn ehrlich, es nervt wie Hulle. Nein, nie. Nein, auch früher nicht. Nein, auch nicht zum Anstoßen. Nein, auch nicht im Nachtisch. Nein, auch keinen Wein. Nein, auch nicht ein Gläschen zum Essen. Nein, ich bin keine Alkoholikerin, nein, ich bin nicht schwanger, nein, ich nehme keine Medikamente. Himmelherrgott. Es gibt Menschen, die können oder wollen das einfach nicht akzeptieren, weiß der Geier, warum. Seltsamerweise musste ich mich aber noch kein einziges Mal rechtfertigen, nicht zu rauchen oder sonstige andere Drogen zu konsumieren. Das ist aber gar nicht der Grund, ich finds einfach eklig, meine Geschmacksrezeptoren sind dafür offensichtlich nicht gemacht. Anyway. Ich habe Nein gesagt. Und ich muss das auch nicht begründen. Leb damit.
Nein heißt nein, und zwar egal wozu. 
Das sollte inzwischen doch wohl jede:r kapiert haben. Und auch gerne ohne in den folgenden 20 Jahren bei jeder passenden Gelegenheit „Ach nein, DU trinkst ja keinen Alkohol - oder inzwischen doch?“ sagen zu müssen. Nein danke, ich muss mir mein Leben immer noch nicht schöntrinken, aber danke der Nachfrage. Nicht.

„Für Dich auch?“
„Nein danke.“
 „Ok, dann vielleicht…. (hier gerne etwas Kreativeres einfallen lassen als Wasser)?“ 
„Ja, gerne, danke.“

Ist gar nicht so schwer. Und für Leute, die solche Gespräche ständig führen müssen, obwohl sie nicht darum gebeten haben*, eine echte Wohltat.

*(Was das angeht, fühle ich oft sehr mit der Veganerfraktion, der man ja auch nachsagt, man würde sie daran erkennen, dass sie es einfach immer erzählen. Haha, so lustig. Meiner Erfahrung nach sagen auch die meisten Veganer:innen erst einfach „Nein, danke“. Ein Gespräch oder gar eine erinnerungswürdige Diskussion darüber entspinnt sich in der Regel erst dadurch, dass dieses Nein nicht einfach unkommentiert hinangenommen werden kann.)

2 Kommentare:

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