5. Mai 2017

Tagebuchbloggen? Nee. { 5. Mai 2017 }

"Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?"
Frau Brüllen fragt das an jedem fünften Tag des Monats und wer mag, schreibt fleißig mit.
Die übrigen WMDEDGT?-Einträge findet Ihr ab 17 Uhr hier.

Ja, Tagebuchbloggen....
Das war der Plan für den heutigen Tag, so wie (fast) jeden Monat eben, eine liebgewonnene Tradition. Aber nun ist mir plötzlich leider so gar nicht nach Alltag heute, deswegen will ich Euch stattdessen lieber etwas erzählen - über das Internet, das manchmal so viel besser ist als sein Ruf und ganz erstaunliche Dinge bewirkt.
So begann nämlich mein Fünfter - indem ich das alles hier heute nacht um halb eins aufgeschrieben habe,
 in der Hoffnung, danach endlich schlafen zu können....

An anderer Stelle habe ich hier ja schon ab und an über meine "andere Ecke des Internets" geschrieben,
abseits der Blogger- und DIY-Szene.
Dort findet sich seit nunmehr bald 15 Jahren(!) beinahe täglich eine Gruppe von Frauen zusammen, die zu Beginn
unseres Kennenlernens eigentlich nur eines gemeinsam zu haben schien:
Wir alle erwarteten irgendwann im Laufe des Jahres 2003 ein Kind.
Die typische, panische, hormonverwirrte Schwangerenversammlung, auf der Suche nach Hilfe und Zuspruch. Das Internet war damals relativ neu und schick (und sah noch ziemlich rudimentär und lustig aus, so im Nachhinein) - und es eröffnete einem ungeahnte Informationsquellen, die wir alle nur zu gerne nutzten.

Wir bekamen unsere Kinder, die Zeit wurde weniger und trotzdem blieben wir zusammen und schrieben weiter - was für ein unschätzbarer Pool an Unterstützung und Verstärkung, wenn alle gerade irgendwie im selben Boot sitzen - mit ähnlichen Wehwehchen, schreienden Babys und zu wenig Schlaf ;-)

Im Laufe der Zeit lernten wir uns besser kennen, die Kinder wurden größer, wir hatten wieder ausreichend Schlaf, ein Leben außerhalb des Babyplüsch und auch das teilten wir miteinander.
Irgendwann wechselten wir unsere Online-Heimat und im Zuge dessen wurden aus anonymen Nicknames echte Namen, zu den Geschichten gab es plötzlich Gesichter und überhaupt viel mehr Bilder. Man wusste, wo die anderen wohnten, manche besuchten und besuchen einander, Familien fahren zusammen in Urlaub, und gar nicht wenige unserer Kinder sind ebenfalls Freunde geworden, folgen sich einander auf instagram oder zocken online zusammen Minecraft.
Wir haben sie alle großwerden sehen und festgestellt, dass nächtliche Wandertouren mit dem schreienden Säugling auf dem Arm vielleicht doch nicht die größten Herausforderungen waren, vor die einen die Kinder so stellen ;-)
Manche von uns haben inzwischen erwachsene Kinder, aber es ist auch noch gar nicht so lange her,
dass zuletzt ein Baby auf die Welt kam....

Wir sind fast 100 Frauen, ein kleines Dorf - nur dass wir im ganzen Land und sogar darüber hinaus verstreut leben. Unter uns gibt es Christen, Muslime und Heiden, es gibt dicke und dünne, kleine und große, arme und reiche, junge und nicht mehr ganz so junge Mütter, sie leben in ganz unterschiedlichen Beziehungen oder auch nicht, sie arbeiten oder auch nicht. Manche sind Bücher- und manche Serienjunkies, manche auch beides oder nichts davon.
Manche nehmen kein Blatt vor den Mund und andere drehen jedes Wort dreimal um, bevor sie vielleicht doch lieber nichts sagen. Jede hat ihr Päckchen zu tragen, sei es ein großes oder ein kleines.
Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wenn es darauf ankommt, dann sind alle da und helfen, wo sie können.

Wir haben uns oft zusammen gefreut: über Schwangerschaften, durchschlafende Babys, neue Beziehungen oder Jobs, tolle Urlaubsbilder oder zuletzt gerade über die Konfirmationen vieler unserer Kinder. Wir haben vor dem Rechner gesessen und ganz tantenmäßig gedacht "Mensch, was sind die alle groß geworden!" Es gibt viele Gründe, sich gemeinsam zu freuen.
Wir haben auch schon oft zusammen gelitten: wegen schlimmen Krankheiten, verlorenen Jobs, gescheiterten Beziehungen oder der Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen. Es gibt viele Gründe, gemeinsam zu leiden.
Aber immer haben es alle irgendwie wieder hinbekommen.

Wir haben auch schon getrauert, haben Männer und sogar Kinder gehen lassen müssen -
aber noch nie eine von uns.

Bis gestern.

Als der Scheixxdreckskrebs mal eben kurz auflachte und ein Leben so schnell beendete, dass noch nicht mal Zeit zum Verabschieden blieb. Wir hatten doch gerade erst in den "Kämpfen und Siegen"-Modus geschaltet.....

Das ist ein ziemlicher Einschnitt, und deswegen wird mein Tag heute nicht viel mehr sein als das:
Eine große Runde spazieren gehen, eine Kerze anzünden und mit meiner Familie möglichst schnell die Tür hinter mir schließen. Das muss für heute reichen.


Liebe Tanja, ich weiß, Du hast vom Beten nicht viel gehalten - dafür halte ich umso mehr davon und  bete heute einfach mal für Dich mit, schaden kann es ja nichts: Dass Du jetzt keine Schmerzen mehr haben musst. Dass das alles einen Sinn hat, auch wenn ich ihn gerade beim besten Willen nicht sehen kann. Dass Du von da oben immer noch so viel Lebensmut und Optimismus versprühen kannst, genug für Deinen Mann und Deine Tochter. Dass Du schützend über sie wachen kannst.
Dass es Dir gut geht und es schön dort ist, wo Du jetzt bist - wo auch immer das sein mag.
Du wirst es uns sicher nachsehen, dass wir heute alle traurig sind, auch wenn Dir das sicher nicht recht wäre.
Versprochen, ab morgen bemühen wir uns wieder um Zuversicht und Optimismus.
Mach's gut, Deine Plaudis werden Dich ganz sicher nicht vergessen....

Tja, auch das macht das Internet - dass Menschen zusammen leben und leiden, die sich sonst sicher im Leben nicht begegnet wären. Das Internet ist die Basis, die uns alle zusammenführt und -hält - und auch der Grund dafür, warum heute fast 100 Frauen irgendwo mit Tränen in den Augen vor dem Rechner sitzen und es hoffentlich schaffen, sich und der Familie Trost zu spenden, wenigstens ein bisschen.
Das Internet ist voller Hass und Hetze, aber es ist auch voller Liebe und Zuspruch - man muss nur ein wenig genauer hinschauen....

10 Kommentare:

  1. Eigentlich hatte ich bisher noch kein Tränchen verloren. Jetzt schon. Das hast Du wunderschön geschrieben. Und auch wenn ich schon lange nicht mehr so aktiv in dieser Gruppe bin........Tanja ist auch mir in all den Jahren ans Herz gewachsen.
    Verdammter Mist.......
    Karin aka Lina

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  2. Danke Du hast die Worte gefunden, die mir gerade fehlen....
    Tanja / shuga

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  3. Ich danke dir für diese Worte und schließe mich dem an.
    xxx
    Freya

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  4. Danke für deine Worte...
    Sie wird immer ein Teil von uns bleiben, das kann uns niemand nehmen. ❤

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  5. Danke für diesen wundervollen Text.
    Sanne

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  6. Danke für die tollen Worte! Tanja V.

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  7. Dieser Post ist wunderbar, so traurig er auch ist. Es steckt so viel Lebenslust darin ... Dankeschön. Ganz still und leise Ingrid

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  8. Ein aufrichtiger, sehr bewegender Beitrag. Danke für's Teilen. Du bist nicht allein.

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